Den Bürger als Kunden staatlicher Dienstleistungen zu verstehen ist nicht neu. Einzelne Stadt- und Kreisverwaltungen haben bereits vor einigen Jahren eine kundenorientierte Neugestaltung ihrer Strukturen und Dienstleistungen in Angriff genommen. Jedoch hat der Verwaltungsapparat als solcher eine Anpassung an die Wirklichkeit der heutigen Gesellschaft bisher nicht vollzogen. Aspekte wie Wertewandel, demografische Entwicklung, öffentliches Haushaltsdefizit oder ökologische Grenzen werden bisher zu wenig in Modernisierungsprozessen berücksichtigt. Insgesamt fehlt der grundsätzliche Fokus der Regierungsbehörden auf Kundenorientierung als Zugpferd für einen Kulturwandel in der Verwaltung.
Als wirtschaftlich führendes Land in Europa ist es nicht nur ratsam sondern mit dem EU-eGovernment-Aktionsplan auch notwendig, dass die Regierungsbehörden in Deutschland ihre Kompetenz in nutzerorientierten Services und Strukturen stärken und ausbauen. Bisher ist Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern noch am Beginn seiner Reise hin zu (mehr) Service Design im öffentlichen Sektor.
Dienstleistungen müssen zunehmend moderner und nutzerorientierter sein, da die Komplexität der Bürokratie in Zeiten des Datenschutzes und der Digitalisierung eher zu- als abnimmt. Nach den Vorgaben des Aktionsplanes sollen Durchschläge der digitalen Ablage weichen, der Austausch von Daten nicht an organisatorischen Grenzen scheitern und die Akzeptanz digitaler Dienste im privaten Bereich seinen Niederschlag in der Schaffung eines Binnenmarktes digitaler öffentlicher Dienste finden. Damit verändern sich zahlreiche interne Arbeitsprozesse als auch Berührungspunkte mit dem und Dienstleistungsangebote für den Bürger.
Service Design bietet sich hier als ideale Herangehensweise nebst Methodenbaukasten zur Erreichung dieses Ziels bei gleichzeitiger Optimierung des Angebots für alle Beteiligten an.
Es setzt dabei auf die Beteiligung verschiedenster Stakeholder und die Gestaltung einer Vielzahl digitaler und physikalischer Kontaktpunkte (Touchpoints) unter Berücksichtigung der vor- und nachgelagerten Prozesse einer Dienstleistung. Service Designer betrachten dabei alle Schritte des Prozesses und beziehen alle Beteiligten an diesem Prozess in die Optimierung desselben ein – immer unter Berücksichtigung und im Hinblick auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Stakeholder.
PROZESSE UND ANGEBOTE IM SINNE DER KUNDEN DENKEN UND GESTALTEN
Service Design legt den Fokus auf Systeme und Organisationen. Service Design analysiert die Kundenerfahrung auf eine Art und Weise, die hilft, (Dienst-) Leistungen an die Bedürfnisse, Wünsche und Erfahrungen der Kunden anzupassen, komplett neu zu gestalten und erfolgreich in die Umsetzung zu bringen.
Die Kundenreise (Customer Journey) oder das Visualisieren der internen Dienstleistungsprozesse (Service Design Blueprint) helfen dem öffentlichen Sektor, Dienstleistungen aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten: vom Menschen/Kunden aus. Welche Berührungspunkte hat der Kunde mit mir, wie sind diese ausgestaltet, welchen Nutzen hat welche Handlung? Oder welche Prozesse laufen parallel bzw. hinter den Kulissen, damit eine Dienstleistung überhaupt realisiert werden kann? Wo sind vielleicht systemimmanente Restriktionen oder Hürden, die das Kundenerlebnis beeinflussen? Mit diesen und weiteren Fragen setzt sich Service Design auseinander und schafft durch Strukturierung, Visualisierung und Abstraktion iterativ bessere Lösungen.
Das Hauptaugenmerk von Service Design ist es, tägliche Tätigkeiten/Berührungspunkte (Touchpoint) in positive Erfahrungen umzuwandeln. Wir fokussieren dabei auf die ganze Geschichte (Customer Journey) einer Person (Customer/User), die etwas erreichen möchte (Goal). Wir tun dies durch direkte Kommunikation (Interviews) mit Nutzern der Zielgruppe, indem wir die gesamte Kundenerfahrung neugestalten, um ihre wahren Bedürfnisse und Wünsche im Kontext konkreter Schritte (Kontaktpunkte) zu verstehen. Mit kreativer Ideenentwicklung und Visualisierung von ersten sogenannten Prototypen schaffen wir digitale, physische oder immaterielle, greifbare Lösungen, die direkt getestet und weiter angepasst werden können.
DER KOOPERATIVE ANSATZ
Der innovative Design-Ansatz kann den bisher sehr traditionellen Ansatz politischer Arbeit bereichern, woraus sich einige Vorteile ergeben. Während mit dem traditionellen Ansatz Services von innen nach außen entwickelt werden – also von den Entscheidern über die internen Infrastrukturen der Behörden für die Menschen – können mit Hilfe des kooperativen Ansatzes Services von außen nach innen entwickelt werden – also durch aktive Beteiligung von Bürger/innen und Behörden.
Als Ergebnis ist Service Design der Verbindungspunkt zwischen den zuvor beschriebenen Gruppen. All diese haben Ziele und Bedürfnisse. Die aktuelle Situation zeigt, dass viele Regierungen Veränderungen anstoßen ohne eine direkte oder erst späte Beteiligung ihrer Bürger/innen. Als Beispiele können hier Reaktionen auf und Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik oder auch der Dieselskandal genannt werden. Entscheidungen werden verkündet, nicht Lösungswege diskutiert. So finden die originären Bedürfnisse und Wünsche der Bürger/innen keinen Niederschlag. Die Herausforderung besteht daher darin, engere Beziehungen zwischen allen beteiligten Gruppen aufzubauen. Indem Service Design alle Perspektiven der Beteiligten (Politik, Behörden, Bürger) im Prozess mitdenkt, können neue gemeinsame Kontaktpunkte entwickelt und bestehende optimiert werden.
ALLES „REINE FORMSACHE“
Die anstehende Konferenz „Reine Formsache – Innovation im Öffentlichen Sektor“ am 28.01.2019 in Köln ist übrigens eine gute Gelegenheit, den Dialog zwischen Behörden und Service Designern zu vertiefen. Mehr Infos unter: https://kisd.de/termine/reine-formsache/
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